Auf den Bildern von Hyeonyoung Lee tauchen oft Regale und Ordnungsmöbel mit Schubladen auf. Diese gemalten/gezeichneten Sortierungs- und Aufbewahrungssysteme wirken weniger bürokratisch als es jetzt klingt. Sie werden häufig minimalistisch/kubisch vereinfacht ohne Standort gezeigt. Manchmal bestehen sie aus einer fast mikrobisch feinen Zeichnungstextur und möchten ihre eigenen Bestandteile zu verstoßen. Ein gemaltes gelb-oranges Breitwandregal zeigt auch stellenweise Anzeichen solcher Auflösung. Es scheinen aus einigen Schubladen wie aus der digitaler Sphäre zwei, drei Landschaftsbilder aufzusteigen. Man wollte Socken oder Akten suchen, aber es schweben diese Bilder hervor. Dann geht man unbestrumpft schnell spazieren? Es herrscht eine nüchterne, aber vertraute Stimmung wie kurz vor dem Aufräumen, das man besser auch sein lassen kann, weil bereits die Vorstellung davon schon genug beruhigendes mit sich bringt. So als würde der Gedanke an ein demnächst gegessenes Käsebrötchen schon den Hunger stillen können. Ein besonderes Beispiel in dieser offenen Bilderserie zeigt eine Art Wasserfall, der sich verwunderlich wie bedrohlich über die im Regal verwahrten Unterlagen, Bücher und Gegenstände ergießt. Der Wasserfall selbst ist so gekonnt gemalt, dass man in der Nähe des Bildes feuchte Finger bekommt. Alle Bilder tragen eine offene verheißungsvolle Rätselhaftigkeit in sich, die sich einer Auflösung gekonnt verweigern. Die Künstlerin selbst kennt natürlich den roten Faden für eine mögliche Entschlüsselung, hat aber keine Veranlassung dies preiszugeben. Hyeonyoung Lee arbeitet auch versiert mit Titeln und Sätzen. Ein Titel wie „Die Sorge der Substanz“ macht sofort schön schwere Knie. Oder „Wie kannst Du so etwas zu mir sagen?“ klopft beim schlechten Gewissen an, das selbstverständlich umgehend fündig wird.

Auch die sehr unterschiedlichen Macharten dieser Bilder lassen einen oft irritiert „angefasst“ im Regen stehen. Hallo, wie kommt das jetzt hierher von woher? Dieser Zug fährt ohne Abfahrt und Ankunft und die Ausstellung heißt „Fata Morgana“. Alles, was auf Bildern zu sehen ist, existiert in einem bestimmten Sinne nie. Die Vortäuschung entsteht nur mittels einer sehr dünnen Schicht aus Materialien, die unterschiedlichen Einfärbungen annehmen können. Wenn Beeindruckung entsteht, scheinen sich die Bilder mit ihrer Materialität direkt auf der Netzhaut des Betrachers/der Betrachterin abzulagern. Das ist kein Grund zur Sorge.


Gunter Reski

Künstler und Professor der Malerei

Hyeonyoung Lees multimediale Ausdrucksweise, die zum Beispiel ein Interview mit einem Vampir, Umfragen, Computerspiele, Gedichte, Videoinstallation und Malereien umfassen, stellt Fragen zur Gesellschaft und deren Verbindung zu Sprache, Verhaltensmustern, Gefühlszuständen und Technologie. Kann zum Beispiel ein Reinigungstuch, das in einer Toilette gefunden wird, erneut zum Reinigen verwendet werden, wenn es gereinigt wurde? Oder wie wird dieses Reinigungstuch, wie in der Arbeit „Das sterilisiertes Ding 2" thematisiert wird, zum „saubersten Lappen der Welt" oder anders gefragt: Wann ist sauber auch wirklich steril? Hyeo­nyoung Lees Arbeiten stellen auf humorvolle Weise dar, wie die Welt wäre, wenn wir sie wörtlich und bildlich nehmen würden. Sie eröffnet den Betrachter*innen in ihren Arbeiten eine Welt der Sprache, die sich bildlich zeigt und stellt sie gleichzeitig vor die Herausforderung herauszufiltern, was nun genau die Realität ist. Ist es die Welt auf der Leinwand, auf unseren Bildschirmen oder liegt sie ganz woanders? In einer surrealistisch anmutenden Ausdrucksweise erzählen die Arbeiten von Hyeonyoung Lee von einer Wirklichkeit die voller Dinge ist und die im Sinne von Rene Magrittes „Dies ist keine Pfeife - Ceci n'est pas une pipe", auch als Abbilder dargestellt sind, aber auf eine Realität darüber hinaus aufmerksam machen. Ihre Malereien, die zum Beispiel schwebende Vorhänge welche Augen verdecken oder eine umgestürzte Flasche aus der sich ein ganzer Wasserfall über ein Regal erstreckt, darstellen, verdeutlichen den Moment des Unwirklichen, der sich als eine gezielte Form der Übertreibung des Eigentlichen darstellt. Hyeonyoung Lees Arbeiten weisen darauf hin, dass es einen Unterscheidung zwischen einem gemalten Abbild und der Realität gibt und stellt mit ihren Arbeiten die Frage danach, wo sich die Grenzen der Wahrnehmung erahnen lassen. Ihre Arbeiten scheinen auf der Suche nach der Wahrheit zu sein und verbildlichen gleichzeitig den Zweifel daran. Was kann alles Illusion sein und wo und was wird „The Last Dot of the Universe", wie ein Titel einer der Arbeiten Hyeonyoung Lees lautet, sein? Vielleicht liegt der letzte Punkt des Universums aber auch gegenwärtig in der Frage: In welchen di­gitalen Wäldern wir uns zukünftig wiederfinden werden, und ob sich darin die Komprimiertheit eines Uploads an der Zartheit einer Wolke bemessen lassen kann.


Catharina szonn
Künstlerin

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